Geschichte der Oberlinschule

Eine der ersten Bildungseinrichtungen in Deutschland für Kinder mit Beeinträchtigungen

Erst seit ein paar Jahrzehnten ist es selbstverständlich, dass auch Kinder mit Behinderungen und schweren Erkrankungen eine Schule besuchen. Noch bis in die 1930er Jahre wurden die jungen Menschen nicht beschult, sondern nur betreut. Man traute ihnen viel zu wenig zu. Und allzu oft fehlte das Wissen, wie man sie fördern und fordern konnte. Unsere Schule war eine der ersten in Deutschland und damit Vorreiter, was die Schulbildung für Kinder mit verschiedenen Beeinträchtigungen betraf.

Orientierung boten damals die Ideen des elsässischen Pfarrers und Reformpädagogen Johann Friedrich Oberlin (1740-1826), selbst Vater von 9 Kindern. Oberlin gilt als Begründer der organisierten Kleinkinderfürsorge. Er engagierte sich für Reformen im Bildungssystem sowie der Krankenpflege und Armenfürsorge. Viele Einrichtungen würdigen bis heute sein Handeln, indem sie ihre Institutionen nach ihm benennen.

Erste Wohnstätte für Menschen mit Taubblindheit 1906 eröffnet

Dazu gehört auch der 1871 in Berlin gegründete Oberlinverein zur Entwicklung der Kleinkinderschulen in Deutschland. Weil in Alt Nowawes, wie der Babelsberger Stadtteil damals heißt, viele arme Weberfamilien wohnen, wird hier nach und nach ab 1884 das Oberlin-Mutterhaus mit den ersten 10 Diakonissen und Thusnelda von Saldern als Oberin eingerichtet. Ihre Aufgabe: den Menschen und vor allem Kindern soziale Fürsorge, Krankenpflege und berufliche Förderung zukommen zu lassen.

Die Arbeit mit Kindern mit Behinderung beginnt, als 1886 Ludwig Gerhard und ein Jahr später Herta Schulz zu den Diakonissen gebracht werden. Der 11-jährige Ludwig ist vollständig gelähmt und die 10-jährige Herta taubblind. Bald erkennt man die Notwendigkeit, sich auch und gerade um Kinder mit Behinderungen und schweren Erkrankungen zu kümmern. Im Jahr 1906 wird offiziell das "Taubstummenblindenheim" eröffnet und bleibt bis 1962 die einzige Einrichtung dieser Art in ganz Deutschland.

Unterricht im Krankenbett

Der Bedarf ist von Anfang an groß. Bis zur Einweihung des ersten Schulhauses 1899 werden bereits 200 Kinder im Oberlin-Mutterhaus sowie im Krankenhaus unterrichtet – größtenteils direkt in den Krankenzimmern. Denn viele Kinder, die an Polio oder Knochentuberkulose erkrankt sind, müssen oft Wochen oder gar Monate in Gipsbetten liegen. Mit dem ersten Schulhaus, in dem heute die Oberlin Kindertagesstätte Babelsberg untergebracht ist, beginnt dann auch für diese Kinder eine Art Normalität: Wer mobil oder transportfähig ist, kann endlich in einem Klassenraum unterrichtet werden.

Dass man Kindern mit Beeinträchtigungen überhaupt eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Bildung und Therapie ermöglicht, bringt dem Oberlinverein 1900 auf der Weltausstellung in Paris eine Goldmedaille ein - für das ganzheitliche pädagogische Konzept. Die Replik der kostbaren Urkunde hängt heute im Flur neben dem Schulleiterzimmer.

Staatlich anerkannt seit 1992

In der DDR wird die Körperbehindertenschule 1952 verstaatlicht. Tagsüber kommen Lehrerinnen und Lehrer ins Haus, in den Pausen und nach Schulschluss werden die Kinder von Diakonissen betreut. Das funktioniert so gut, dass 1990, als die Schule aus dem DDR-Bildungssystem entlassen wird, viele der Lehrkräfte an der Oberlinschule, nun nach ihrem Ideengeber benannt, bleiben. 1990 erfolgt auch die Genehmigung zur Führung als Förderschule für Körperbehinderte – als erste Einrichtung in Brandenburg. Seit 1992 ist die Oberlinschule als Ersatzschule staatlich anerkannt.

Zur Selbstständigkeit befähigen

Und es wird umfassend investiert: 2002 kann der sanierte Taubblinden-/ Hörsehbehindertenbereich eröffnet werden, 2011 der Neubau der Schule, 2013 wird der Altbau saniert. Heute versteht sich die Oberlinschule als eine ganzheitliche Bildungseinrichtung mit dem Anspruch, ihre Schülerinnen und Schüler zu bilden und zu begleiten – und ihnen dabei die nötige medizin-therapeutische Versorgung zukommen zu lassen. Im Mittelpunkt steht das einzelne Kind, dem die Möglichkeit zur Selbstentfaltung gegeben werden soll. Ziel ist zudem, es zu höchstmöglicher Selbstständigkeit zu befähigen.

In der Babelsberger Nachbarschaft gehören die Oberlin-Schülerinnen und -Schüler längst ganz selbstverständlich dazu. Die Schule ist ein Ort der Begegnung – auch für Nachbarn, Gemeindemitglieder und Besucher, z. B. bei Schulfesten oder anderen Veranstaltungen.